Von einem auf den anderen Tag kam der
Herbst und mit ihm eine eisige Kälte, die mir beim arbeiten den
Körper hoch kriecht, meine Finger und Füße taub werden lässt.
Dennoch ist das herbstliche Hokkaido
ein wundervoller Anblick. Jeden Morgen geht die Sonne hinter den, mit
erstem Schnee bedeckten Bergen auf und taucht die gelb, orange, rot
und braun gefärbten Wälder in goldenes Licht. Tief hängt sie den
Tag über deren Kuppen bis ihr der Mond gegenüber steht. Oft regnet
es, auch wenn am strahlend blauen Himmel keine einzige Wolke zu sehen
ist, und dort wo sich Licht und Wasser treffen entstehen Regenbögen
in der eisigen Luft. Schon wird mein warmer Atem draußen zu einer
weißen Nebelmasse.
Auf der Kyodo Gakusha ist die Erntezeit
fast vorbei, jetzt werden Pakete mit Gemüse, Käse, Fleisch und
Keksen gepackt und verschickt. Vereinzelt ziehen wir hierfür noch
Möhren aus der erde oder holen Lach von den Beeten, aber
hauptsächlich wird geputzt, gewogen und gepackt.
Ich frage mich täglich wann es vorbei
ist mit dem frühen aufstehen... Es ist mittleidslose Quälerei wenn
der Wecker um 4.30 Uhr klingelt und ich meine Decke zurück schlage.
Mit jedem Tag zögere ich es eine weitere Minute heraus.
Wenn die Erde bebt...
Um ca. 9 Uhr lag ich
erschöpft im Bett. Es war schon seit Stunden so dunkel, dass man
seine Hand vor Augen nicht mehr erkennen konnte... und da bebte die
Erde. Vielleicht nur für Sekunden, vielleicht eine Minute... Niemals
habe ich etwas vergleichbares erlebt. Es war als wäre der Boden
unter mir zum Leben erwacht, als würde er sich nach langem Schlaf
erheben. Es hatte etwas so unheimlich mächtiges, dass ich den Atem
anhielt, wartend auf was auch immer passieren mochte... Die Lampe
über mir bewegte sich in der Dunkelheit, alles um mich herum schwang
mit. Es hätte alles kommen können... Doch die Erde unter mir schien
wieder eingeschlafen zu sein und ich atmete weiter.
Als es das zweite Mal
bebte saßen wir beim Abendessen versammelt. Für ein paar Sekunden
verstummte das Gespräch, mit aufmerksamem Blick wurde aufgeschaut
und dann... als wäre nie etwas gewesen, wurde weiter gegessen,
geredet, gelacht. Nur ich saß wie vom Donner gerührt auf meinem
Platz und besorgt schauende Japaner fragten mich ob ich alles in
Ordnung sei oder ob ich vielleicht Fieber habe...
Die Antwort auf meine
Frage wie Japaner mit ihrer bewegten Situation umgehen... Ja, es gibt
eine gewisse Aufmerksamkeit... Keine konstante Angst aber doch ein
Lauschen, eine gewisse Anspannung.
Mit Schwamm und Besen
Zwei Mal im Jahr startet
auf der Kydo Gakusha eine Putzkolonne ihr Werk und säubert das
Haupthaus. Leute von der Farm und Leute aus der Stadt säubern nicht
nur Küche, Speiseraum und Treppe, sondern auch die Zimmer einiger
Bewohner.
Falls ich jemals etwas
ekeligeres gemacht habe, muss ich den Gedanken wohl verdrängt
haben... Staub, Spinneweben, Käferleichen und Gerümpel... Die
Küche, mit einer gelben Smogschicht überzogen... Schwarze Flächen,
die erst nach langem Schrubben ihre Ursprungsfarbe (weiß)
offenbarten. Ein undefinierbarer Gestank der uns aus einigen der
Zimmern entgegenschlug. Schnell begriff ich, dass ich mich nicht so
voreilig über den verteilten Mundschutz hätte lustig machen sollen.
Den ganzen Tag fühlte sich mein Magen sehr merkwürdig an... Obwohl
ich den ganzen Tag in kompletter Arbeitsmontur (d.h Regenhose und
Regenjacke) gearbeitet hatte, duschte ich an diesem Abend bestimmt
eine Stunde um das Gefühl von Staub und Schmiere von mir zu waschen.
Tiefer in die
Schuldenfalle
Der Plan war in meiner
Mittagspause in die „Stadt“ zu fahren. Ich wollte Geld abheben.
Da ich völlig Bargeldlos
hier ankam und bisher nur Sonntags, wenn Post und Bank geschlossen
sind in Shintoku unterwegs war, hatte ich bereits Schulden auf mich
geladen um einige Besorgungen zu machen, die ich nun endlich
begleichen wollte. Also schwangen wir uns aufs Fahrrad. Schon in
Tokyo hatte ich es bei der Post geschafft an Geld zu kommen.
Da der Geldautomat einen
eher beängstigenden Eindruck auf mich machte ging ich direkt zum
Schalter und bat um Hilfe. Nach einem erstaunten Blick auf meine Visa
Card begleitete ein junger Mann mich freundlich, irritiert lächelnd
zum Automaten. Doch auch nach umstellen der japanischen Hieroglyphen
in förmliches Englisch spuckte der Automat meine Karte sofort wieder
aus. Sich offensichtlichst und mit voller Körpersprache wundernd,
hin und her gerissen zwischen Amüsement und schlechtem Gewissen
erklärte mir der sympathische Postofficeangestellte immer wieder
„mmmh, dekinai“ (es geht nicht) und dass ich eventuell mit dieser
Karte nirgends in Shintoku Geld abheben könne. Vielleicht hätte ich
diesem, scheinbar weisen Propheten, der mich noch eifrig lächelnd
zur Tür begleitete und mir deutlich belustigt und verwundert
hinterher blickte, Glauben schenken sollen. Stattdessen betrat ich
voller Optimismus die Bank von Shintoku.
Hier verbrachte ich eine
halbe Stunde auf der Wartebank, während ein zu tiefst bemühter
Bankangestellter, mit meiner Visa Card auf einem kleinen grünen
Tablett, immer wieder vom Geldautomaten zum Telefon rannte und jedes
Mal wenn er an mir vorbei lief unter vielen Verbeugungen etwas in
Richtung „Entschuldigen sie bitte, einen kleinen Moment noch“
nuschelte. Die Anstrengung des übertriebenen Dauerlaufes, vielleicht
auch einfach die Anspannung weil das, was auch immer er versuchte
nicht funktionierte, trieb ihm den Schweiß auf die Stirn und ließ
sein Gesicht mehr und mehr die Farbe einer Kirsche annehmen.
Schließlich fiel er vor mir auf die Knie um sich schwer betroffen
bei mir zu Entschuldigen für eine Tatsache die mir während meiner
Wartezeit zu dämmern begann... Ich würde in Shintoku nicht an Geld
kommen! Im Nachhinein kam in mir die Frage auf, ob das auch ihm von
Anfang an klar war und er mir nur zeigen wollte, dass er auch
wirklich alles versucht. Falls es so war hat er mich dadurch nur noch
ärmer gemacht als ich ohnehin schon war denn, wie wir Deutschen
wissen: Zeit ist Geld.
Handtücher und Socken
Nachdem Totani in adrettem
Pullover, Schal und Mütze zum Frühstück erschienen war, tauschte
auch ich Jogginghose und Gummistiefel gegen Jeans und Lederschuhe,
denn diesen Vormittag spielten wir Park Golf. Park Golf ist Golf im
Kleinformat, hat allerdings keinerlei Ähnlichkeit mit Minigolf. Wir
heißt: die Menschen der Kyodo Gakusha. Die Menschen der Kyodo Gakush
heißt: für Spaß ist gesorgt.
Ersteinmal waren meine
Bemühungen etwas ordentlicher auszusehen vollkommen überflüssig
bzw. überwogen deutlich jene, die auch an diesem Tag weder
Jogginghose noch Gummistiefel zu hause ließen. Auch hätte ich mich
nicht so beeilen müssen um 5 Minuten früher am Treffpunkt zu
erscheinen, denn wir hatten es mit bestorganisierten Japanern zu tun.
Bereits einen Abend vorher war die Liste erstellt worden die regelte,
wer mit welchem Auto fahren würde. Das hinderte sie allerdings
keinesfalls daran, dass ganze noch Einmal beim Frühstück zu
diskutieren und kund zu tun, bis wir dann um 9 Uhr am vereinbarten
Treffpunkt irgendwie doch eine halbe Stunde mit abwägenden
Überlegungen bezüglich der Autofahrt verbrachten.
Das Golf spielen war dann
aber so lustig, dass sich jegliche Wartezeit gelohnt hatte und für
die 20 besten von uns gab es neben dem Teilnehmerpreis den alle
bekamen, einem paar mir viel zu kleiner Socken, noch 2 schön
verpackte Handtücher. Wer würde in einem so praktischen Land wie
Japan auch auf die Idee kommen Urkunden oder Medaillen zu
verteilen...?
1. Kommt es anders und 2.
als man denkt
Am letzten Samstag im
Monat werden auf der Kyodo Gakusha die Geburtstagskinder der letzten
vier Wochen geehrt, es findet also eine Art Geburtstagsparty
statt.Ich weiß nicht woher meine Erwartung kam... vielleicht war es
die Bezeichnung „GeburtstagsPARTY“, vielleicht war es auch die
nicht geringe Zahl an alkoholischen Getränken die sich nach 3
Stunden Zubereitung des Abendessens auf den Tischen befand...
jedenfalls hatte ich sie, ich erwartete einen langen Abend. Das Essen
war ausgezeichnet und nach einer halben Stunde hatte sich die übliche
Lautstärke um das dreifache gesteigert, was, neben der Tatsache das
viel mehr Menschen als üblich anwesend waren, am konsumierten
Alkohol lag. Da ich bei einem Zusammentreffen mit guten Freunden auch
ohne Alkohol laut spreche und viel lache fühlte ich mich hierdurch
keinesfalls verschreckt, im Gegenteil. Erstaunlich waren eher die
Nebeneffekte die bei einigen auftraten, aber auch diese waren eher
belustigend als alles andere. Was mich wirklich schockierte war: Zwei
Stunden nach Beginn der „Party“ waren so gut wie alle
verschwunden. Der Alkohol war leer und die meisten schlafen gegangen.
Aktueller Stand:
Nächstes Wochenende
fahren Lukas, Sam und ich nach Sapporo.
Es bleibt also spannend...