Seid ca. zwei Monaten bin ich wieder in
Japan. Gut ein Jahr habe ich darauf gewartet das sagen zu können.
Dann stand es fest das ich für ein Jahr an der
Ferris-Universität-Yokohama studieren werden würde und in den
Monaten die darauf folgten erschien es mir einfach unglaublich. Ab
Dezember hatte ich keine Sekunde Zeit überhaupt daran zu denken und
als Mitte Februar die Semesterferien begannen trödelte und reiste
ich herum, sodass die letzten Wochen in Deutschland zu einem nervenraubenden Ereignis wurden. Nicht nur, dass ich merkte noch einiges an
Vorbereitung in Angriff nehmen zu müssen, ich bekam auch noch kalte
Füße. Mir wurde klar, dass ich nicht in die Vergangenheit die ich
so vermisst hatte zurückreisen würde, sondern, dass mir ein ganz
neues Ereignis bevorstand.
Mein 12 Stunden Flug nach Narita Tokyo
wo ich neben tausenden anderer Austauschstudenten die alle pünktlich
zum neuen Semester am 01.04 in Japan ankamen, drei Stunden in der
Schlange auf die Ausstellung einer Ausländerkarte wartete, flog mich
tatsächlich nicht zurück ins Jahr 2013 sondern allerhöchstens in
einen japanischen Abklatsch von 1984.
Drei Stunden zu spät kam ich in der
Flughafenhalle an. Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben den von
der Ferris angekündigten Abholservice in Anspruch nehmen zu können,
doch die nette Ferris Studentin wartete tatsächlich noch immer, mit
einer kleinen, roten, verfransten Fahne auf der in goldenen Lettern
„Ferris“ zu lesen war. Trotz drei Stunden Warterei verzog sie
keine Mine, sondern war reizend freundlich und schenkte mir
Schokolade die meinem sich verknoteten und verdrehten Magen grade
noch gefehlt hatte. Als wir den Flughafen verließen und die
feuchtwarme Luft meine Lunge füllte, sich die riesigen Gebäude vor
dem dunkel werdenden Himmel erhoben und ich mir einen Flasche kalten
Tee am Automaten kaufte traf es mich wie der Schlag: Ich bin in
Japan!
Nach einer vier stündigen Fahrt mit
Bus und Taxi erreichten wir das Studentenwohnheim. Wenn ihr
Studentenwohnheim hört bitte keine falschen Assoziationen. Worin
auch immer ich lebe hat nichts mit einem deutschen Studentenwohnheim
zu tun und soweit ich weiß auch nichts mit einem dänischen oder
englischen oder... ich nutze dieses Wort aus Ermangelung eines
besseren.
Big Brother is watching you
Big Brother ist in diesem Falle der
Hausmeister und wer weiß an wen meine Daten (siehe unten) noch alles
weiter gegeben werden.
Daten dessen Aufnahme erfolgt sind:
Wann ich das Haus verlasse und wann ich wieder heimkehre.
Kontrollmethode ist ein Chip mit dem ich aus und auch wieder
einchecken muss. Wann ich draußen übernachte und wo wird auf einem
Zettel festgehalten auf dem ich angeben muss wer ich bin, wo ich
studiere, meine Handynummer (hab ich glücklicherweise nicht) und von
wann bis wann ich bei wem (Name, Adresse, Beziehung) übernachte. Was
ich entsorge wird ebenfalls kontrolliert, mit der Begründung die
strikte Mülltrennung des Bezirks einzuhalten.
Sollte ich aus irgendwelchen
unersehnlichen Gründen (Zug hat Verspätung, falschen Zug genommen,
Opi wird von Unruhestiftern verprügelt und ich muss die Polizei
rufen) mal nach 24 Uhr nach hause kommen, muss ich entweder auf der
Straße schlafen oder mit fremden Menschen nach hause gehen, denn das
Wohnheim macht um 24 Uhr zu und öffnet erst um 6.30 Uhr wieder. Aber
hey, ist ja alles nur zu unserer Sicherheit. Wenn ich so darüber
nachdenke machen sogar die 1.70m kleinen Zimmertüren Sinn.
Höchstwahrscheinlich sollen sie die Riesen, die ja bekanntlich in
Stadtregionen hausen, davon abhalten in unsere Privatsphäre
einzudringen.
Ferris Color
Mit der Zeit dämmerte es mir warum das
Wohnheim so ist wie es ist. Die japanischen Studenten erscheinen mir
im Durchschnitt nicht nur physikalisch jünger als die Deutschen
(18~22). Wenn ich Gesprächen über Lieblingsidole, Frisuren, und
Katy Perry in der Uni lausche fühle ich mich erstaunlich alt.
Die Ferris-Universität an der ich
derzeit studiere ist eine Frauenuniversität von vergleichsweise
kleiner Größe. Ihre Studentinnen sind entzückend. Wohl gekleidet,
größtenteils den Regeln folgend, mit einer lieblichen Stimme
gesegnet und stets freundlich (ohne Gewähr).
Ich besuche größtenteils
Japanischkurse für nicht Könner, hab aber auch vier andere Seminare
die mich mehr oder weniger überfordern. Nach den 10 Tagen Einführung
bin ich aber ehrlich gesagt sehr stolz, dass ich es überhaupt
geschafft habe etwas zu belegen. Voll im Jetlag habe ich den
Einstufungstest für Japanisch überlebt und all die Informationen an
mir vorbei schweben lassen die uns in geballter Fassung innerhalb
eines Tages um die Ohren gehauen wurden. Was ein Glück das wir fünf
Pinke Informationsbroschüren bekommen haben von denen ich keine
einzige lesen kann. Und eine süße Ferris-Tasche, in Blau mit Pinkem
Aufdruck. Wie passend das Motto der Ferris doch ist: For Others.
Nach zwei Monaten an der Ferris wurden
ich und die neun anderen Austauschstudenten vor die Aufgabe gestellt
eine Farbe auszuwählen die wir mit der Uni assoziieren. Die
einstimmige Antwort nach ca. zwei Sekunden Bedenkzeit war Pink.
Hyperprävention: Aufpassen dass keiner
denkt
An einem Sonntagmorgen ging ich
schwimmen. Ich hatte die Absicht etwas Gutes für meinen Körper zu
tun, statt dessen lernte ich wie die Entwicklung der Japaner zu selbstdenkenden Wesen verhindert wird.
Nach ca. 30 Minuten Anreise erreichten
eine andere Austauschstudentin und ich ein kleines Schwimmbad
irgendwo im Nirgendwo. Der Spaß begann schon in der Umkleidekabine
als ich versuchte meine neu gekaufte, knallrote Bademütze über
meinen Schopf zu ziehen (Badehaube ist ein Muss in japanischen
Sportschwimmbecken). Sie war einfach viel zu klein. Vielleicht hatte
ich den Fehler gemacht eine Kinderhaube zu kaufen? Ich weiß es
nicht. Mit schlecht sitzender Badehaube und als die Einzige in
„normalem“ Badeanzug (die Japaner trugen etwas was man in
Deutschland vielleicht als Taucheranzug bezeichnen würde) betrat ich
ziemlich beschämt die Schwimmhalle. Das Becken war leer, einzig die
Bänke am Beckenrand mit Leuten gefüllt. Langsam fragte ich mich
wirklich wie ein Schwimmbad mich auf bisher nicht gekannte kulturelle
Unterschiede stoßen lassen könne. Was macht man in einem Schwimmbad
wenn nicht Schwimmen? Die Antwort ist: Pause. Wir kamen genau
rechtzeitig zur Pause.
In dem kleinen Schwimmbad standen doch
tatsächlich fünf Aufpasser, die aufpassen müssen sich beim
Aufpassen nicht auf die Füße zu treten, um das noch kleinere Becken
herum und pfeifen alle 50 Minuten zur 10 minütigen Pause. Als ob
ich nicht selber wissen würde wann ich Pause machen will! Aber was
erwarte ich in einem Land wo man Plastikflaschen und Coladosen in
getrennte Mülleimereingänge schmeißt nur um festzustellen das sie
in ein und dem selben Mülleimer landen.
Trotzdem, die Japaner sind gut im
Schwimmen und ich hatte noch mehr Grund mich zu schämen. Nicht nur
das ich nicht vernünftig kraulen kann, ich verlor auch andauernd
meine Bademütze und hatte mangels einer Taucherbrille ständig
Wasser in den Augen. Da das Becken aber höchstens 1,30m tief war
konnte ich zumindest nicht ersaufen aber die Angst das einer der
Aufpasser ins Becken springen und versuchen könne mich zu retten
blieb. So war ich ziemlich froh als nach 50 Minuten die Pausenpfeife
trillerte. Für einen Moment überlegte ich einfach im Becken zu
bleiben nur um zu sehen was sie tun würden, die Aufpasser, wenn ein
dummer Ausländer nicht gehorsam ist und kein Verständnis der
japanischen Sprache zeigt, entschied mich dann aber doch meiner
lieben Mitschwimmerin die Peinlichkeit zu ersparen.
Es blieb nicht beim Schwimmbad. Nur
einen Tag später bewunderte ich die Klopapier-abreiss-Anleitung auf
einer öffentlichen Toilette und Menschen die bei der Arbeit im
Garten einen Helm tragen (keine Ausnahme).
Auch verstehe ich täglich mehr und wie
wunderbar das auch sein mag, die Nebenwirkungen machen mir manchmal
zu schaffen. Ich kann nicht anders, ich ärgere mich einfach wenn mir
durch ein schräpiges Megaphon in der Dauerschleife das Gleiche
entgegen geschräbt wird.
An einem wunderbaren Tag wie gestern,
an dem ich eines der schönsten Feuerwerke meines Lebens gesehen
habe, über einem dunklen Meer auf dem unzählige, leuchtende, kleine
Schiffe dahin glitten, stellt Japan ein Heer von Polizisten auf,
gleich wie am Tag einer Dortmunder Rechts Demo. Nur das diese
Polizisten nicht mit Pistolen sondern mit den bereits erwähnten
schräpigen Megaphonen bewaffnet sind durch die sie Leute anschreien
die nicht an einer Ampel, oder bei Rot über die Straße gehen „Das
ist gefährlich!! Gehen sie bitte nicht über die Straße!“. Eine
Straße auf der im Fünfminutentakt ein halbes Auto kommt. Und
falls grade mal kein Unruhestifter an unrechtem Ort die Straße
überquert dann rufen sie andere Sachen die jeder geistig fitte 6
jährige sich auch selber denken kann. Gut das sie sonst nichts tun
außer rufen. Eine Taktik die wohl nirgends woanders auf der Welt
funktioniert. Hab ich gleich mal ausgenutzt und bin unrechtens über
die Straße gegangen aber dank meiner blonden Haare wurde mir doch
tatsächlich eine Ermahnung erspart. Stattdessen teilte der
Schreihals lieber fünf anderen Japanern mit, dass sie genau den Weg
den ich grade problemlos eingeschlagen hatte nicht mehr nehmen können
da es schon zu voll sei. Pech gehabt!
Vom Beben und Surren
Japan erscheint mir so verzaubert und
friedlich wie eh und je, wie eine Welt unter einem Schleier den ich
nicht ganz durchschauen kann. Die Tage sind heiß und versetzen mich
in eine Art Delirium, die Nächte warm, weich und voll von Magie.
Dennoch habe ich zuweilen ein ungutes Gefühl im Bauch, ein
Gefühl, dass ich nicht mit Japan verbunden habe bis April diesen
Jahres. Erstaunlich oft wird die Erde unter mir erschüttert. Fast täglich
spüre ich ein kleines Beben was mich aufhorchen lässt. Und über
unseren Köpfen surren viel zu oft grotesk aussehende
Militärflugschiffe, deren mächtiger Motorton die Luft zum schwingen
bringt und bedrohlich in die Ohren kriecht.
Es bleibt jedenfalls spannend...
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