Heimat ist da wo man liebt!
Ich befinde mich im Moment in Japan, auf Hokkaido... tausende von km entfernt von Deutschland, dem Land in dem ich geboren wurde, in
dem ich aufgewachsen bin, in dem all die Menschen leben die ich
liebe, meiner Heimat! Dennoch hatte ich während unseres
Wochenendausfluges am 3./4.11 nach Sapporo zum ersten Mal hier das
Gefühl dort angekommen zu sein wo ich hin gehöre...zuhause zu
sein...denn ich habe mich Hals über Kopf in diese Stadt verliebt!
Sapporo wirkte auf mich ein wenig wie Tokyo in Miniatur. Ähnliche
Architektur, die gleichen kleinen japanischen Autos, unzählige
Leuchtreklamen die es in der Nacht erleuchten und ein berauschender
Geräuschpegel. Musik dringt aus Geschäften und Restaurants, große
Werbetafeln spielen Musik und die Ampeln hören sich an wie seltsame
Vögel wenn sie auf grün springen. Dennoch ist es anders. Die
Menschen wirken entspannter, die unzähligen Straßen sind weiter,
die ganze Stadt ist offener als das beengende Tokyo, und nicht so
voll!! Das liegt teilweise wohl daran, dass sich ein Großteil der
Einkaufsszene unterirdisch abspielt. In diesen unter der Stadt
liegenden Einkaufszentren bekommt man wirklich alles was man zum
Leben braucht und alles worauf man eben so gut verzichten könnte!
Doch auch über der Erde gibt es Einkaufsstraßen und das Susukino
Viertel mit unzähligen Bars und Restaurants.
Wir erreichten Sapporo noch vor dem erste Bus, der in der Nähe
von Shintoku vorbei, bis nach Sapporo fährt. Leute von der Kyodo
Gakusha hatten uns im Auto mit genommen, da sie grade an diesem
Wochenende einen Käsestand auf einer Art Lebensmittelmesse in
Sapporo betrieben. Nachdem ich die Post gestürmt und endlich Geld
abgehoben hatte, begannen wir unseren Marsch in Richtung Uhrenturm,
dem Wahrzeichen von Sapporo. Laut Reiseführer sollte sich sich dem
gegenüber auch eine Touristeninformation befinden. Ehrlich gesagt
habe ich keine Ahnung was genau wir dort wollten, war auch egal denn
erstaunlicherweise hatten die sonst so urlaubsscheuen Japaner
aufgrund eines japanischen Feiertag an diesem Samstag die Arbeit
niedergelegt. Als unwissende Ausländer hatten wir außerdem wieder
den Fehler gemacht aus unseren bisherigen Erfahrungen zu schließen
und nun zu erwarten, dass es sich lohnen würde das Wahrzeichen einer
Stadt anzuschauen. Ja, der Uhrenturm, mit der Größe einer
eingelaufenen Kirche und seiner westlichen Architektur hat uns
besagter Turm natürlich fast umgehauen... so etwas ist wirklich
exotisch wenn man den Großteil seines Lebens in einem christlichen
Land verbracht hat in dem sich in jedem Dorf eine Kirche mit Uhr
befindet.
Umso beeindruckender war allerdings unsere Shoppingtour unter der
Erde und die Tatsache, dass es in einem japanischen Drugstore nur
eine einzige Deosorte gibt, die nach Rose duftet und von der die
250ml Flasche umgerechnet 8 Euro kostet.
Als wir uns auf den Weg zu unserer Unterkunft machten um unsere
Sachen abzustellen regnete es in strömen, was unseren
Nachmittagsplan flutete. Wir kehrten also zurück und liefen durch
die Stadt in der die Sonne allmählich von Leuchtreklamen abgelöst
wurde.
Da wir in Japan sind ließen wir auch das Gamecenter nicht aus.
Diese meiner Meinung nach völlig überflüssige Erfindung veranlasst
junge wie alte Leute dazu stundenlang wie hypnotisiert vor einem
Automaten zu stehen, sich wie unter Strom auf einer fiktiven
Tanzfläche zu bewegen oder mit aller Gewalt im Rhythmus eines
japanischen Songs auf elektronische Trommeln einzuhauen. Doch auch
wir ließen uns an diesem Abend von dem mitreißen was ganz Japan zu
begeistern scheint.
Hin und her gerissen zwischen Rückkehr zu unsere Unterkunft oder
weiteren Aktivitäten trafen wir drei nette Japaner, die uns die
Entscheidung abnahmen indem sie uns in eine Bar einluden.
Viel zu spät verließen wir am nächsten Morgen unsere Betten.
Dass wir eigentlich bis 9 Uhr hätten aus checken müssen, hatten wir
dankenswerterweise vergessen. Nach einem westlichen Frühstück
stiegen wir in den Zug nach Otaru, einer Stadt am Meer, nicht weit
von Sapporo, bekannt für ihr wunderschönes Glas und frischen Fisch.
Der Abschied von der Stadt fiel mir unendlich schwer...aber das
änderte nichts. Um 21 Uhr waren wir wieder zurück, in Shintoku, dem
Ort von dem ich mich mittlerweile frage was bzw. ob hier etwas lebt
außer Kühe, Schafe und Schweine.
Beschäftigungstherapie
Bevor ich nach Shintoku kam versuchte ich mich oft daran zu
erinnern wie sich Langeweile anfühlt. Ich hatte dieses Gefühl
vergessen, ich konnte mich vage erinnern aber das änderte nichts
daran das ich es nicht hatte. Manchmal wünschte ich mir sogar einen
Tag Langeweile! An diesem Tag hätte ich so viele entspannte Dinge
tun können. Aber so läuft das nicht. Das ist ja grade das Gemeine
an der Langeweile. Langeweile ist keine freie Zeit, kein Urlaub,
nichts zum entspannen. Langeweile ist wenn man nichts mit sich und
seiner Zeit anzufangen weiß!
Die Japaner sind Weltmeister im bekämpfen von Langeweile. Was
genau sie dagegen tun? Arbeiten. Falls einem Deutschen diese Arbeit
als sinnlos erscheint: Ist sie nicht, da sie ja einzig den Zweck zur
Bekämpfung von Langeweile hat. Da diese Methode bei mir
seltsamerweise Langeweile in das noch viel Schlimmer Gefühl von
Unzufrieden umwandelt, stehe ich ihr etwas skeptisch gegenüber. Auch
der Name „Beschäftigungstherapie“ den ich ihr vorläufig gegeben
habe, ist nicht ganz zu treffend, da er das Wort Therapie enthält.
In der Medizin bezeichnet dieses Wort die Maßnahmen zur Behandlung
einer Krankheit um eine schnellere Heilung herbei zu führen.
Vielleicht wäre „Eipareth“ also zutreffender. Maßnahmen zur
Behandlung von etwas Heilem um eine schnellere Krankheit herbei zu
führen.
Und da wären wir dann bei meinem nächsten Punkt angelangt.
Die nackte Wahrheit
Wie schlimm es wirklich um mich steht ist mir erst jetzt klar
geworden, nachdem ich die Wahrheit ausgezogen habe. Es gibt Dinge die
ich einfach nicht nackt sehen möchte.
Aber was bleibt mir anderes übrig? Wenn ich mich morgens um 6 Uhr
aus dem Bett quäle um dann stundenlang bei gefühlten minus
Temperaturen, schweigend, in einem Schlammloch herum zu kriechen und
nach Kartoffeln zu graben, nicht sicher ob das was ich finde wirklich
Kartoffeln, Steine oder gefrorene Erde ist, dann kommen mir eben
manchmal ein paar Gedanken die einiges in Frage stellen.
Vielleicht bin ich ja mittlerweile stumm geworden ohne es gemerkt
zu haben!? Da meine Füße und Hände täglich schock gefrostet
werden könnte es gut sein, dass sie ihre Jugend behalten, während
der Rest meines Körpers in diesem einen Jahr einfach weiter
altert... In all den Science-Fiction Filmen, die sich aus meiner
Perspektive ja fast alle in der Vergangenheit abspielen funktioniert
das schließlich auch. Also doch erst recht im Jahr 2012. 2012, ein
Jahr indem die Menschen sich nicht mehr sicher sein können
bekömmliches Essen im Supermarkt zu erhalten. Aber Ernährung ist
wichtig für unsere Gesundheit und für unsere Gesundheit tun wir
alles, in einem Jahr indem man sich der Zukunft im Alter nicht mehr
sicher sein kann. Dafür geht man sogar soweit sich Hände und Rücken
durch das ausgraben von Kartoffeln kaputt zu machen, um dann auch
wirklich Lebensmittel zu erhalten die weder von Gentechnik noch vom
Kontakt mit einer Maschine belastet sind, in einem Jahr indem es
sogar energiesparende und umweltfreundliche elektrische Zahnbürsten
gibt. Einem Jahr in dem die Arbeitslosigkeit Menschen wie mich soweit
treibt für einen solchen Job auch noch zu bezahlen, auf Bett und
WiFi zu verzichten. Trauen wir den Vorhersagen steht uns dann auch
noch das Ende der Welt bevor... Falls ich wirklich mittlerweile stumm
bin kann ich in diesem Fall noch nicht einmal um Hilfe rufen...
Aktueller Stand
Ich schreibe gegen meine Frustration an die, die letzte Woche mit
sich gebracht hat. Der Winter bricht über Shintoku herein, es ist
nass und furchtbar kalt. Von der bezaubernden Herbstlandschaft ist
kaum noch etwas übrig. Manchmal ist der Regen so stark, dass wir
nicht draußen arbeiten können. Dann werden Sitzkissen gefilzt oder
Kerzen gezogen.
Nächsten Samstag beginnen für mich zwei Wochen Urlaub in denen
ich Hokkaido bereise.
Ich freue mich auf diese Zeit, und ich freue mich auf meine
Begleitung!
Es bleibt spannend...