Ein Traum...
Am Morgen des 24.11 konnte ich es noch
immer nicht glauben: Mir standen zwei Wochen Urlaub bevor, und das
zusammen mit einer meiner deutsch sprechenden Lieblingspersonen!
Nach einer Stunde Bohnensortieren
packte ich meinen Koffer und um 9 Uhr raste ein Auto der Kyodo
Gakusha viel zu schnell Richtung Shimizu.
Ich kenne mich gut und rechnete
deswegen mit Komplikationen, ich hatte sogar versucht sie vorzubeugen
indem ich Qi lange erklärte wo wir uns treffen würden und, dass
falls wir uns in dem 10 Quadratmeter großen Busbahnhof von Sapporo
nicht finden könnten, wir zum Eingang des einzigen kleinen Ladens im
Bahnhof gehen sollten. Des Weiteren hielt ich mir die Option offen,
dass ich eventuell später kommen würde, da mir die Angabe von 2
Stunden Busfahrt doch ziemlich kurz vorkam. War sie auch, aber damit
nicht genug: Der Bus von Shimizu nach Sapporo kam nicht dort an wo
ich ein paar Wochen zuvor, auf dem Rückweg meines
Wochenendausfluges, eingestiegen bin.... sondern ungefähr 15 Min.
Fußweg davon entfernt! Das heißt wenn man den Fußweg kennt. Falls
ich ihn mir je gemerkt hatte (und hier sind ernsthafte Zweifel
angebracht), musste ich ihn wohl vergessen haben. Da es ohnehin schon
eine Stunde später war als eigentlich verabredet überwältigte mich
ein Gefühl von Stress! Telefonlos, der japanischen Sprache nur
begrenzt mächtig und vollkommen planlos begann ich zu fragen und zu
rennen! Da Stress ein sehr unangenehmes Gefühl ist versuchte ich
dabei auch noch mich nicht zu stressen... Ich hatte wirklich Glück,
dass meine Verabredung, auch nachdem man ihr erzählt hatte, dass
hier aus Shimizu kein Bus ankommen würde, noch auf mich wartete (an
dieser Stelle: Danke!).
Und dann... im Nachhinein kann ich
sagen, dass mich die plötzliche Nähe zu einer Person so ziemlich
überforderte. Hinzu kommt die Erwartung dort anzufangen wo man
aufgehört hat aber...Während ich versuchte mich irgendwie wieder zu
finden, nicht wirklich verstand was eigentlich mit mir los war, ging
ich mir irgendwann selber auf die Nerven. Ich möchte eigentlich
nicht wissen was es für mein Gegenüber bedeutet wenn ich mich schon
selber anstrengend finde, Qi war so nett es mir des öfteren zu
sagen.
Alles in allem hatte ich jedoch
wundervolle 16 Tage und wie das nun mal unfairer weise ist, läuft
solch eine Zeit viel zu schnell.
Nach Sapporo ging es weiter nach Otaru,
Asahikawa, Kushiro und nach einem Tagesausflug in den Akan
Nationalpark verbrachten wir das letzte Wochenende in Obihiro.
...und das Leben geht weiter...
In Shintoku ist es endgültig vorbei
mit der Feldarbeit. Einzig und allein das Schneeschüppen wird von
uns Gemüseleuten noch draußen verrichtet und das auch nur weil es
drinnen nun mal nicht schneit. „Samui“ (kalt) steht nun ganz oben
in der Top 10 der meist gebrauchten Wörter. Bei -13°C hat es doch
tatsächlich sogar „arigato“ (danke) und „gomenasai“
(entschuldigung) eingeholt. In meiner persönlichen Liste der meist
geliebten Ausdrücke ist „Mameno senbezuwa dai kirai“
ungeschlagen (ich hasse Bohnensortieren).
In letzter Zeit ist auf der Farm
ordentlich was los. Neben besagtem Bohnen sortieren, Handarbeiten,
Schneeschüppen und meiner Arbeit in der Käse Fabrik folgt ein
„Bonenkai“ auf den nächsten. Wörtlich übersetzt bedeutet
„Bohnenkai“ Vergessen des alten Jahres und es scheint ganz so als
wollte man tatsächlich, durch den Konsum von Unmengen an Alkohol,
sein Langzeitgedächtnis auf die Dauer schädigen. Vielleicht ist die
Erfindung dieser Partys aber auch darauf zurück zu führen, dass
Silvester und Neujahr in Japan normalerweise ruhig, besinnlich und
mit der Familie verbracht werden, in etwa wie Weihnachten in
Deutschland. Weihnachten dagegen wird, wenn überhaupt, mit dem
Partner gefeiert. Nun ja, da Japaner aber gerne trinken und essen und
dann auch gerne laut und gar nicht mehr so zurückhaltend und
anständig sind wie sie auf den ersten Blick scheinen, gibt es eben
den „Bonenkai“. Ich jedenfalls finde diese Erfindung klasse!
Dann gab es da auch noch die
Abschiedsparty meiner amerikanischen Zimmergenossin und es folgen
Weihnachten und Neujahr.
Trotz der Tatsche, dass ich nun, von
allen englischsprachigen Geistern verlassen, auf der Kyodo Gakusha
lebe, fühle ich mich erstaunlicher Weise mehr zuhause als je zuvor.
Eine innere Ruhe hat von mir Besitz ergriffen, die mich schon fast
beängstigt. Falls ich dergleichen mit nach Deutschland nehmen sollte
würde ich höchstwahrscheinlich in jedem normalen Betrieb nach
kürzester Zeit gekündigt werden. Mehr und mehr wird mir deutlich
wie gerne ich einige Menschen hier habe, auch wenn ich mich noch
immer manchmal dabei ertappe wie ich schnell die Flucht ergreife wenn
ich den ein oder anderen treffe. Nicht weil ich denjenigen nicht
mögen würde, nein, aber es gibt Zeiten in denen ich zu erschöpft
bin um mir ein Schlamassel durch mangelnde japanisch Kenntnisse
anzutun.
Aktueller Stand:
Es ist Sonntag, der 23.12.2012. Die
Welt ist noch nicht untergegangen und morgen wird in Deutschland wohl
Weihnachten gefeiert. In Shintoku dagegen sitzt eine Deutsche auf
einer Couch, nur ein paar Meter entfernt von dem Zimmer in dem sie
schläft, sie hat Internetzugriff!!! Sie hat ca. 5 Sekunden überlegt
ob sie es riskieren soll sich aufs Snowboard zu stellen, einen Tag
vor Heilig Abend, an dem sie mit einigen Japanern in eine christliche
Kirche gehen möchte, zwei Tage vor dem ersten Weihnachtstag an dem
es eine „Sake“ lastige Weihnachtsfeier geben soll, und sich für
ja entschieden. Das macht das sitzen etwas unangenehm (in Shintoku
wird der Schnee so hart gepresst, dass es sich wahrscheinlich lohnen
würde sich ein Kissen in die Hose zu nähen) aber an ihrer neuen
Liebe zum Wintersport hat das nichts geändert. Nach einer darauf
folgenden dreistündigen Konversation auf japanisch ist ihr freier
Tag so gut wie unfrei und vorbei und vielleicht einer der lustigsten
Vorweihnachtstage ihres Lebens.
Es bleibt spannend...